Die etwas andere Mannschaftstour der 2. Mannschaft
Als in unserer 2. Mannschaft der Wunsch entstand, eine Mannschaftstour durchzuführen, wurden schnell die üblichen Ziele diskutiert. Für die meisten dürfte es kein Geheimnis sein, dass der Fokus einer solchen Tour in der Regel auf Party, Palmen, Meer und dem ein oder anderen Kaltgetränk liegt. In diesem Jahr kam es jedoch ganz anders: einer unserer Spieler schlug vor, in seine Heimat Marokko zu reisen und seinen Geburtsort Bouarfa zu besuchen. Bouarfa ist eine Stadt im Nordosten von Marokko mit ca. 30.000 Einwohnern. Der Vorschlag stieß schnell auf große Zustimmung, obwohl die bereits thematisierten üblichen Interessen in einem muslimisch geprägten Land wie Marokko selbstverständlich nicht Teil einer solchen Mannschaftstour sein konnten.
Die Vereinsverantwortlichen wollten zuerst gar nicht glauben, dass das Reiseziel Marokko sein sollte. Nachdem die Zweifel beseitigt werden konnten, durfte sich die Reisegruppe jedoch über eine finanzielle Unterstützung ihrer Tour freuen. Zusätzlich wurden Spenden von Gönnern und Unterstützern gesammelt – dafür möchte sich die Mannschaft auch an dieser Stelle recht herzlich bedanken. Dass diese Tour für alle Beteiligten wahrscheinlich sehr lange in bester Erinnerung bleiben wird, verdanken wir auch euch!
Unser Spieler Hassane startete einen Spendenaufruf im Verein und bei befreundeten Vereinen (Herzlichen Dank an den SV Rott und Rasensport Brand!), um Trikots, Bälle, Trainingsanzüge, etc. zu sammeln. Es kam so viel zusammen, dass ein Freund von Hassane sich mit einem Transporter auf den Weg nach Bouarfa machen musste, um diese Sachen rechtzeitig zur Ankunft der Hahner abzuliefern. Auch kurz vor der Abreise kam noch einiges zusammen – der Rest wurde von der Mannschaft auf ihre Kosten mit dem eigenen Gepäck aufgegeben.
Hassane hatte im Vorfeld schon seine ganze Familie und Freunde in Marokko informiert und alle waren hellauf begeistert und gespannt. Der Gastgeber, der Fußballclub von Bouarfa, stellte seine Platzanlage zur Verfügung und man hatte damit das Glück, auf dem vermutlich einzigen Kunstrasen in ganz Marokko zu trainieren. Dies war dem Zufall geschuldet, dass das Königshaus Bouarfa als neuen Sitz für einige Abteilungen auserwählt hatte und dort in den kommenden Jahren einiges investiert wird, um das Stadtviertel zu verschönern. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurde der Kunstrasenplatz errichtet. Die sonstigen Fußballplätze, die unser Team vor Ort zu sehen bekommen hat, sind von europäischen Standards meilenweit entfernt.
Am 8. Januar 2020 ging es endlich los: von Brüssel aus flog die Hahner Delegation nach Oujda. Dort wurde sie von einem Bus empfangen, der sie an allen Tagen begleitete. Zunächst einmal standen 263 km Busfahrt auf dem Programm. Ein Mittagessen war für die Tour gebucht und man bekam einen ersten Eindruck vom Essen und der Gastfreundschaft. Weiter ging es nach Tendrara – Hassane und der Fußballclub von Bouarfa hatten bereits im Vorfeld für den Samstag ein Turnier organisiert, an dem auch der Verein aus diesem Ort teilnehmen sollte. Die Mannschaft konnte sich den örtlichen Fußballplatz und die Umgebung anschauen und anschließend wurde sie zu Tee und Gebäck eingeladen. Man merkte den Leuten an, dass es für sie sehr aufregend war, Touristen bzw. eine Fußballmannschaft aus Deutschland zu Besuch zu haben.
Im Anschluss ging es dann zum eigentlichen Reiseziel: Bouarfa. Dort gab es zur Überraschung der Hahner am späten Abend noch einen Empfang mit Musik und der Vorführung eines Volkstanzes im Foyer des Hotels. Auch hier sollte eine kurze Stärkung nicht fehlen und nachdem die Zimmer schnell bezogen wurden, ging es wieder in den Bus und man fuhr gemeinsam zum Geburtshaus von Hassane. Seine Eltern und einige Freunde bereiteten den Hahnern vor Ort einen herzlichen Empfang und Hassanes Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, für alle zu kochen. In Marokko ist es üblich, die Speisen in die Mitte des Tisches zu stellen, wo sich alle daran bedienen können. Im Gegensatz zu den Essgewohnheiten, die man aus Deutschland kennt, isst man in Marokko in der Regel fast alles mit den Fingern. Für einige war das anfangs etwas ungewohnt, aber schnell konnten sich alle mit dieser Esskultur anfreunden. Im Anschluss an das Essen wurde ein Gebet gesprochen – in diesem wird unter anderem für das Essen gedankt. Im Vergleich zu christlichen Gebeten nimmt das Gebet einige Zeit in Anspruch und ist auch mehr ein Sprachgesang. Ein weiterer kultureller Unterschied ist, dass Frauen am Essen nicht teilnehmen – sie essen im Anschluss und alles was dann noch übrig ist, wird an arme Leute verteilt. Nach diesem Tag voller Eindrücke ging es zurück ins Hotel, wo alle unglaublich müde, aber glücklich ins Bett fielen.
Am nächsten Morgen wurde gefrühstückt und anschließend die erste Trainingseinheit im Jahre 2020 absolviert. Wer hätte gedacht, dass diese auf afrikanischem Boden stattfinden würde? Ein paar Spieler des dort ansässigen Vereins wollten unbedingt mittrainieren, nahmen es aber mit der Pünktlichkeit nicht so genau – dies ist auch schon eins der Hauptprobleme der Fußballtrainer vor Ort … das sollten unsere Jungs beim anstehenden Turnier am Samstag noch auf eindrucksvolle Weise erfahren. Nach dem Training ging es ins Hamam. Ein Hamam ist eine öffentliche Badeanstalt, bei der die Bereiche für Damen und Herren voneinander getrennt sind. Es ist ein wichtiger Bestandteil der orientalischen Bade- und Körperkultur. Hauptzweck des Hamams ist die Verrichtung der islamischen Gesamtwaschung Ghusi (große rituelle Waschung).
Anschließend ging es wieder zum Haus von Hassane, wo wieder seine Eltern und Freunde warteten. Mit Tee und einer Art Pfannkuchen durfte man sich stärken, bevor es mit dem Bus ins 112 km entfernte Figuig ging. Eine geplante Fahrradtour durch die Oase und Schlösser musste etwas kürzer ausfallen, da die Mannschaft vor Ort von einigen Privatleuten eingeladen wurde. So besichtigte man eine Jugendherberge, ein Hotel und eine Privatwohnung, wo es frische Datteln, Ayran und Tee gab. Die Fahrradtour führte durch die Oase Figuig, fernab jeder größeren Stadt in einer Höhe von ca. 900 Metern. Der Ort liegt in der Südostecke Nordmarokkos, direkt an der Grenze zu Algerien in einer von Bergen umgebenen Landschaft. Ein mehrere Jahrhunderte altes Bewässerungssystem ist die Grundlage dieser Oase und die Dattelpalme der wichtigste Wirtschaftsfaktor vor Ort. Ca. 1 Stunde ging es durch enge Gassen und über Stock und Stein und man zeigte den Hahner Fußballern einen wunderbaren Ort. Außerdem gab es einen unterirdischen Flusslauf zu sehen, der ca. 15 Meter unter der Erde verläuft. Die Luftfeuchtigkeit war dabei so hoch, dass man den Eindruck hatte, man wäre wieder im Hamam gelandet. Nach der Tour wurde noch schnell ein Kaffee in einer der üblichen kleinen Tee- und Kaffeebars getrunken, bevor es mit dem Bus wieder nach Bouarfa ging. Eigentlich war an diesem Tag die Übergabe der gesammelten Sachen vorgesehen, da die Tour aber zwei Stunden länger als geplant gedauert hatte, wurde dies auf den nächsten Tag verschoben. Der beeindruckende Tag endete mit einem späten gemeinsamen Abendessen.
Am nächsten Morgen stand nach einem Frühstück die zweite Trainingseinheit an, an der auch wieder Spieler des Heimatvereins teilnahmen. Nach dem Training wurden die gesammelten Sachen übergeben. Eine Welle der Dankbarkeit schwappte über die Hahner – die Einheimischen waren überwältigt davon, wie viel zusammen gekommen war. Neben Grüßen unseres Vereinspräsidenten versprach man auch, dass beim FC Inde Hahn darüber nachgedacht wird, wie man eine Art Partnerschaft aufbauen und dem Verein vor Ort langfristig helfen kann.
Im Anschluss gab es Mittagessen und einen kurzen Besuch bei einer Trainingseinheit der Junioren von Bouarfa. Anders als bei uns trainierten verschieden Altersgruppen gemeinsam – ca. 30 Kinder wurden von einem einzigen Trainer betreut. Leider schafft der ortsansässige Club es nicht, die Mehrzahl der Kinder von der Straße auf den Fußballplatz zu bekommen. Es würden genügend Spieler für jede Altersgruppe zur Verfügung stehen, doch leider fehlt das Interesse im Verein zu spielen oder das nötige Geld für den Mitgliedsbeitrag. Die meisten Kinder spielen den ganzen Tag Fußball auf Betonplätzen oder einfach im Wüstensand, nachdem man mühsam die größten Steine beiseite und zwei provisorische Tore errichtet hat. Man spielt mit Latschen, Hauspantoffeln, normalen Schuhen oder auch barfuß – richtige Fußballschuhe sind für die Kinder meist unbezahlbar. Hassane erklärte den Jungs, dass es wichtig sei, in einem Verein Fußball zu spielen und dass man über den Sport viele neue Freunde finden und Kontakte knüpfen kann.
Anschließend ging es zu einer am Ortsrand gelegenen Mine – dieser Mine verdankt Bouarfa überhaupt seine Existenz. Als die Franzosen mit dem Abbau von Manganerzen anfingen, benötigten die Arbeiter Unterkünfte – in dem Zusammenhang ist der Ort entstanden. Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 wurde die Mine jedoch geschlossen und danach standen viele Häuser leer. In den verfallenen Bauten wohnen mittlerweile aber viele der ärmsten Leute Bouarfas, abgeschnitten vom alltäglichen Leben und unter sehr schlechten Bedingungen. Doch selbst dort spielen die Kinder den ganzen Tag Fußball. Leider gibt es in der Stadt keine historischen oder kulturell bedeutsamen Sehenswürdigkeiten, die Touristen anlocken würden. Die meisten Einwohner Bouarfas sind arabischer Herkunft vom Stamm der Bei Guil. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind jedoch auch viele Berber zugewandert. Auf der Rückfahrt von der Mine stoppte der Bus an der (Bezirks-)Grenzkontrolle. Hassane hatte eine „kurze“ Wanderung im Programm, die eigentlich nur ein paar Minuten dauern sollte. Doch da waren sie wieder – die marokkanischen „Minuten“. Etwas über eine halbe Stunde ging es über Fels und Sand an eine Stelle im Ort, wo der Bus wieder auf uns wartete. Oben im Berg hatte man zu Jugendzeiten von Hassanes Vater ein Plateau von kleinen Steinen und großen Brocken befreit und damit einen Fußballplatz markiert. In Deutschland würde man das noch nicht mal als Bolzplatz akzeptieren. Es folgte wieder ein Besuch im Café und einige Spieler besorgten ein paar Mitbringsel für ihre Lieben in der Heimat oder sich selbst. Bevor es zurück ins Hotel zum Abendessen ging, besuchte man noch einen Freund von Hassane, der ein kleines Museum mit Raritäten besitzt. Nach diesem Besuch ging es dann zum Abendessen und anschließend ins Bett.
Dann war auch schon der Samstag gekommen und das Fußballturnier stand auf dem Programm – direkt nach dem Frühstück ging es los Richtung Sportgelände. Die Ankunft unserer Mannschaft wurde gefilmt, so dass alle hintereinander aussteigen sollten. Die Begrüßung und der Empfang vor Ort vermittelten den Eindruck, dass ein europäischer Champions-League-Teilnehmer gerade angekommen wäre und nicht der FC Inde Hahn. Sogar Polizei, Sanitäter und Feuerwehr waren vor Ort – im Gegensatz zu den gegnerischen Mannschaften. Wie es wohl in Marokko üblich ist nahmen die es mit der Zeit nicht so genau und trudelten irgendwann mal ein. Hassanes Turnierplan hatte zwischen den Spielen sehr lange Pausen vorgesehen – nun wussten auch alle, warum er das getan hatte.
Kurz zu den Turnierergebnissen:
FC Inde Hahn – A.U.D.S.T.M. Tendara 1:0
FC Inde Hahn- US Figuig 2:2
FC Inde Hahn – Nasr Bouarfa 0:2
Zwischendurch wurden die Hahner kurzerhand mit dem Bus zu einer Halle gefahren, wo für alle Mannschaften gekocht wurde. Bei der anschließenden Ehrung wurden Erinnerungsmedaillen, eine Urkunde, ein Erinnerungsgeschenk und der Preis für den besten Torhüter verliehen. Es wurden noch ein paar Trikots getauscht und ein toller sportlicher Tag nahm fast schon sein Ende. Allerdings folgte man noch der Einladung in ein benachbartes Zelt, wo man einen kleinen Markt der Einheimischen mit traditionellem marokkanischem Handwerk und Speisen fand. Der Bus fuhr die Mannschaft schließlich wieder ins Hotel, wo allerdings kurz nach der Ankunft der Strom ausfiel, so dass man kurzerhand ein Café besuchte und dort bei leckerem Gebäck die Premier League schauen konnte. Als im Hotel alles wieder in Ordnung war, ging es zum Abendessen. Nach einer kurzen Nachtruhe startete der Bus ein letztes Mal um 3:00 Uhr Richtung Flughafen. Mit einem Frühstück und dem Abflug in Oudja fand die unglaublich schöne und ereignisreiche Mannschaftstour ihr Ende.
Wie bereits erwähnt wird diese Reise allen Beteiligten sehr lange in Erinnerung bleiben. Unsere Jungs wurden durchweg sehr herzlich und freundlich empfangen. Die Bedingungen, unter denen die Menschen dort leben und Fußball spielen, sind mit denen hier in Deutschland nicht zu vergleichen. Die Reise hat allen auch gezeigt, wie gut wir es haben und wie schön ein respektvoller und vorurteilsfreier Umgang miteinander ist. Bei Freundlichkeit und Respekt zählt nämlich keine Religion, Hautfarbe, Abstammung oder Kultur, sondern einzig und allein der Mensch.